Rezensionen zum Buch: Brennende Kerze im Sturm - Mystische Spiritualität inmitten unserer Welt

Rezension von Klaus Simon

Es ist ein altbekanntes Problem mystischer Erfahrung, dass sich über das Erfahrene nur schwerlich sprechen lässt. Gerhard Breidenstein gelingt es trotz dieser naturgemäßen Schwierigkeit, den Leser mitzunehmen: hinein in seine mystische Erfahrungswelt - und das in überraschend flüssiger und gut lesbarer Weise. Dabei ist Mystik bei Breidenstein an keiner Stelle Weltflucht, sondern im Gegenteil stets der Welt zugewandt. Immer geht es um hier und jetzt. Aus der tiefen Erfahrung des Eins-Seins mit allem und allen führt uns das Buch in eine mystisch motivierte Praxis. Eine Praxis, die auch vor solchen Problemen nicht haltmacht, "die nur durch die Änderung von ungerechten Strukturen zu lösen sind". Was nun den spirituellen Hintergrund dieser Praxis angeht, so unterscheidet der Autor zwischen Religiosität (Suche nach Orientierung jenseits der unmittelbar erfahrbaren Wirklichkeit) und Religion (institutionalisierte Form der Religiosität: Dogmen, Normen, Rituale, ...). In Anlehnung an Rilkes Begriff "ein kapellenloser Glaube" macht uns das Buch mit einer mystischen Spiritualität bekannt, die den Abschied von überkommenen Religionen erlaubt, ohne dass wir dabei aber unsere Religiosität verlieren. So können wir offenbleiben für ein Welt-Wahrnehmen über das Rationale hinaus, und der für Religion oft typische Konflikt mit dem neuzeitlichen Weltbild bleibt uns dennoch erspart.

Für Menschen, die den Wunsch nach spiritueller Orientierung und gesellschaftlichem Aufbruch spüren, liefert dieses Buch hervorragende Anregungen. Ich wünsche ihm weite Verbreitung.

Buchempfehlung von Werner Gebert

G. Breidenstein gelingt die Verbindung von gesellschaftlicher, globaler Verantwortung mit spiritueller Entwicklung. Der evang. Theologe hat sich als Studentenpfarrer in der Anti-AKW-Bewegung und der "Dritte Welt"-Solidarität engagiert und 2001 die bundesweite Initiative "Aufbruch - anders besser leben" gegründet. Seit über 25 Jahren praktiziert er Zen-Meditation.

Damit ist ein Abschied verbunden von einem Glauben an einen personalen Gott sowie an vernunftwidrige Dogmen und erstarrte Rituale. Breidensteins mystische Spiritualität ist transreligiös. "Ein mystisches Weltbild kennt nur eine Wirklichkeit, keine Trennung zwischen Oben und Unten, Göttlichem und Menschlichem, Geist und Materie... Das Göttliche wird dabei als allgegenwärtiger Geist verstanden, verkörpert in allen Menschen, Tieren, Pflanzen und Dingen..." (S. 10) Alles ist von einem göttlichen Geist durchdrungen. Der Autor kann in diesem Zusammenhang auch von Allverbundenheit sprechen. Eine solche Spiritualität ist aber nicht weltflüchtig; ihr geht es darum, inmitten der von Krisen-Stürmen erschütterten Welt aktiv zu sein und standzuhalten.

In der einen Wirklichkeit sind dennoch einige Unterscheidungen von Bedeutung, z.B. der zwischen nicht von Menschen verursachtem Leid wie etwa schwere Krankheit, früher Tod, und Leid, das eindeutig von Menschen verursacht wird, wie etwa Gewalttätigkeit, Grausamkeit, Verrat, Folter, Mord, Krieg und Ausbeutung. Die mystische Spiritualität wird ersteres anzunehmen versuchen. Destruktives Verhalten aber wird als seelische Erkrankung angesehen, die heilbar sein müsste. Diese Sichtweise ist eine Konsequenz aus dem Glauben, dass in jedem Menschen göttlicher Geist wohnt. Dieser kann so verschüttet sein, dass er nicht zur Wirkung gelangt. Die Mystiker sprechen dann vom Schatten in der Seele des Einzelnen, aber nicht von "dem Bösen". (S.61). Es gibt aber auch destruktive Strukturen wie etwa das kapitalistische Wirtschaftssystem, das die Gier belohnt. "Der Wachstumswahn in unserer Gesellschaft ist offenbar eine kollektive Erkrankung." (S.62f.)

Eine andere wichtige Unterscheidung ist die zwischen dem "Ego" und dem "Selbst". Das Ego reagiert auf die alltäglichen Ärgernisse; es ist leicht gekränkt oder eifersüchtig. Es handelt sich um eine in sich selbst gefangene Individualität. "Das Selbst ist das achtsame, präsente, das solidarische und empathische Ich", das Dankbarkeit, Schönheit, Glück und Freude empfindet (S.51). Das Selbst kann das Ego mit Geduld, Humor und Liebe anschauen und so aus seiner Gefangenschaft befreien.

Mystische Spiritualität gibt es nicht im Sonderangebot. "Sie ist auf die Dauer nicht lebensfähig, wenn sie nicht praktiziert wird." (S. 122) Es braucht tägliche intensive Übungen, vornehmlich die stille Meditation. So entsteht ein Glaube ohne Bindung an eine Religion, oder mit den Worten von Rainer Maria Rilke "ein kapellenloser Glaube". Er befähigt uns dazu, mit der göttlichen Energie in Verbindung zu treten, um von ihr inspiriert und transformiert und so auch ihr Instrument zu werden. Er macht uns gewiss, "dass Werte wie Ehrfurcht vor allem Leben, Dankbarkeit für alles Leben, Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit, Versöhnungsbereitschaft, Mitgefühl, Toleranz und Achtsamkeit in allen Situationen unserem Handeln Motivation und Richtung geben können." Er stärkt die Überzeugung, "dass Glück und Sinn gerade im Nichtmateriellen wie Liebe, Freude, Zufriedenheit, Schönheit zu finden sind." (S. 121)

Mystische Spiritualität ist die "brennende Kerze" auf einem bilderlosen Altar, die vielen Suchenden leuchten und helfen wird, die Stürme der Welt auszuhalten, womöglich zu stillen.

Dies Buch ist allen wärmstens zu empfehlen, die eine solche zeitgemäße Spiritualität suchen, die nicht von unserer stürmischen Welt abgehoben ist.

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